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Der Marktplatz

Von Renee Maier


Ich werde immer nervös, wenn der Einlassroboter meinen Ausweis kontrolliert. Jedes Mal fürchte ich, seine Programmierung könnte sich geändert haben und ich qualifiziere mich nicht mehr dafür, den Markt zu betreten. Doch zumindest diesmal geht alles gut. Der Roboter erkennt nicht, dass es sich bei meinem Ausweis um eine Fälschung handelt.


Die Schleuse öffnet sich und augenblicklich dringt dieser unvergleichliche Geruch durch meine Maske. Es ist eine Mischung aus Desinfektionsmittel, Fleisch und Gummi, an die ich mich nie gewöhnen werde.


Als ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal meine Eltern in die Markthalle begleiten durfte, hat mich der Eingangsbereich sofort verzaubert. Ich habe sie angefleht, mir den lilafarbenen Hund zu kaufen, der laut bellend gegen die Wände seines Glaskäfigs kratzte. Doch meine Mutter blieb streng. Später, beim Hinausgehen, durfte ich mir eine kleine Staubraupe aussuchen, die dann die sechs Monate bis zu ihrem Tod die Möbel in meinem Zimmer abstaubte. Danach haben wir nie wieder ein Tier gekauft.


Heute, fast sechs Jahre später, hasse ich diesen lauten Teil der Markthalle, in dem sich die Familien drängen. Für viele ist der Bereich mit den Tieren der einzige, in dem sie sich etwas leisten können. Die Menschenmenge ist für mich aber eine gute Tarnung, während ich zur Schönheitsabteilung vordringe.


Hier ist es ruhiger und auch kühler, außerdem riecht es weniger nach nassem Hund. Es reizt mich, mich einer Stimmbehandlung zu unterziehen, obwohl ich weiß, wie kurz die Wirkung anhält. Dadurch werden wir immer wieder angelockt, um uns erneut behandeln zu lassen, genau wie die süßen bunten Haustiere immer wieder nachgekauft werden müssen.


Zum ersten Mal bleibe ich nun aber doch stehen, weil ein junges Mädchen gerade aus einem Tattoo-Studio tritt. Aufgeregt zeigt sie ihrem Vater den Fisch, der auf ihrem Handgelenk hin und her schwimmt. Hinter ihr kommt der Künstler zum Vorschein. Der Vater des Mädchens legt seine Hand auf den Scanner, den der Tätowierer ihm hinhält. Er muss sehr wohlhabend sein, dass er nach der Behandlung bezahlen darf.


Erst als der Tätowierer einen Schritt auf mich zumacht, wird mir mein Fehlverhalten klar. Ehe er mich ansprechen kann, gehe ich schnell weiter. Wenn ich nicht besser aufpasse, ist meine Mission vorbei, bevor sie angefangen hat.


Vorbei an Reklamen für Lifting, Verjüngungskuren und Haartransplantationen komme ich endlich dem Bereich näher, den ich suche. In der offiziell letzten Abteilung des Marktes leuchtet nichts mehr in bunten Farben. Kleine quadratische Zelte stehen eng beieinander, und vor jedem wartet eine weiß gekleidete Person, deren Miene ebenso ernst ist wie die der wenigen Menschen, die sich umsehen.


Damit sich niemand – so wie ich – unerlaubt hier aufhält, drehen Ordnungsroboter ihre Runden. Als einer in meine Nähe kommt, stelle ich mich als interessierte Kundin vor eines der Zelte. Zartrosa flattert dessen Wand gegen meine Knöchel. Die Verkäuferin ist in ein leises Gespräch mit einer Frau im roten Mantel vertieft, die eine kleine Decke in ihrer Hand knetet.


Mich erfüllt Abscheu, als ich in die sorgsam vor dem Zelt aufgestellten Glaskästen blicke. In einer milchigen Flüssigkeit schwimmen Herzen, Nieren und andere Organe, die ich nicht erkenne. Diese hier sind selbstverständlich nicht zur Transplantation gedacht. Sie demonstrieren nur: Sehen Sie, wir haben so viel Material, dass wir es ausstellen können!


Was hinter den schneeweißen Ladentheken passiert, ist nicht so schön. Die rot gekleidete Frau verschwindet nun mit der Verkäuferin im Inneren des Zeltes. Dort kann sie sich die Qualität des Organs aussuchen, das wohl ihrem todkranken Familienmitglied helfen soll. Ohne Geld geht aber auch in dieser sensiblen Abteilung nichts. Es gab schon Fälle, in denen Menschen all ihr Hab und Gut für die billigste verfügbare Niere verkauft haben, welche kurz darauf den Geist aufgab.


Als der Roboter endlich verschwunden ist, wende ich mich ab und gehe weiter. In der Entfernung sehe ich schon das Ende der Markthalle: den blauen Vorhang. Jeder weiß, dass es dahinter noch weitergeht. Aber was genau dort verkauft wird, ist ein sorgsam gehütetes Geheimnis.


Wie gut, dass ich es heute lüften werde.



Organic Market

By Renee Maier


The security robot checking my ID never fails to unsettle me. Every time I fear its programming might have changed and I no longer qualify to enter the market. But at least for now all works out just fine. The robot doesn’t detect that my ID is a forgery.


As the airlock opens, a stench enters my nose, my mask sitting uselessly on my face. I’m forced to breathe in the incomparable mixture of disinfectants, meat, and rubber that I’ll never get used to.


At the age of 12, I accompanied my parents here for the very first time. Back then, the entrance area immediately bewitched me. I begged my parents to buy the purple dog scratching against the walls of its glass cage, barking loudly. But my mother refused. Later, on our way out, they let me get a tiny dust eating caterpillar which then – in the 6 months leading up to its death – dusted the furniture in my room. That was the first and last time we bought an animal.


6 years later I despise this part of the market: noisy, clogged with families. For many of them, those animals are the only products they can afford. At least the crowd is providing a cover while I’m approaching the cosmetic area.


It’s calmer and chillier around here – also, it smells less of wet dog. I’m tempted to undergo voice treatment although I know the effect would only last for a short period of time. That’s how they pull us back and back again; to have another treatment done, to buy another pet – cute, colourful, and already dying.


A young girl catches my attention, making me come to a sudden halt. She is stepping outside a tattoo studio, where she excitedly shows her father the fish swimming around on her wrist. Be-hind her, the tattoo artist pops up, holding up a scanner. The father places his hand on it, there-fore paying after the treatment is done. He must be very rich; rich people are allowed to do that.


It’s only when the artist takes a step towards me that I notice my mistake. I quickly move on before he can approach me. I’ve got to be more careful or else my mission is over before it even started.


Ads for body lifts, rejuvenation cures and hair transplants are blinking furiously at me on my way to the section I’m looking for. No shiny colours anymore in this seemingly last part of the market – just small quadratic tents cramped next to each other, each one with a person dressed in white waiting in front of it. Their faces are as serious as the ones of the visitors looking around.


To keep out intruders like myself, security robots roam around. They are easy to fool. When one of them gets close, I simply mimic an interested customer by positioning myself in front of a tent. Its baby pink wall flaps against my ankle. The saleswoman is immersed in a quiet conversation with a woman wearing a red coat. She’s kneading a blanket in her hand.


Disgust wells up as I peer into the glass containers carefully placed in front of the tent. Floating in a milky liquid, there are hearts, kidneys, and other organs I can’t name. These ones are not to be transplanted, of course. Their sole purpose is to demonstrate that the store is overflowing with material.


Rather unappealing – that’s what I would also call the things that happen behind those paper white facades. The woman in red is following the saleswoman inside the tent now. There, she can choose the quality of the organ that’s presumably meant to save a loved one’s life. She needs money for that, of course, nothing can happen without it, even in this sensitive area. I know stories about people having sold all their belongings so they could afford the cheapest kidney available which soon turned out to be junk.


Finally, the robot’s gone and I can leave the tent behind me. In the distance I can already make out the blue curtain marking the end of the hall. Except it’s not the end after all. Everybody knows that. What exactly it is that they are selling there, that’s a big mystery.

Luckily, I will solve it today.




Renee Maier is a student at LMU Munich who loves writing, reading, acting and drawing. She is from Germany and speaks German, English and Italian. (Instagram: reneemariemaier)


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